Bikebergsteigen in den Dolomiten

Manfred trägt die Fotoausrüstung. Ich trage die Verantwortung.
MountainBIKE Magazin 05/2012 I Autor Harald Philipp

04.00 Uhr nachts.

Ich beobachte den Sternenhimmel, der sich langsam über die dunklen Felswände dreht. An Schlaf ist nicht zu denken. Die geplante Radtour geht mir immer wieder durch den Kopf. Denn bereits das Wort „Radtour“ trifft nur sehr bedingt zu: „Steig mit Seilversicherungen und vereinzelten Klettersektionen. Eher Wanderung als ein Klettersteig, dennoch sind Schwindelfreiheit, Trittsicherheit und alpine Erfahrung absolut erforderlich.“ So beschreibt der Dolomiten-Klettersteigführer die Route über unseren Gipfel. Das hört sich doch sympathisch an, oder?

Ludi und Manfred waren sofort dabei. Beide liegen neben mir, ebenfalls wach. Manfred trägt morgen seine Fotoausrüstung auf den Berg. Ich trage die Verantwortung. Manfreds Rucksack wiegt 15kg und auf meinen Schultern lastet die Sinnhaftigkeit unseres Abenteuers. Ertragen kann man vieles, aber erfahren auch? Die Dämmerung setzt ein.

17.00 Uhr.

Der Gipfel ändert alles. In den letzten Stunden waren wir Bergsteiger mit Übergepäck auf den Schultern, jetzt dürfen die Reifen wieder auf den Boden. Es ist schon spät, im Tal sonnen sich die anderen Alpinisten vor der Hütte. Ein schnelles Gipfelfoto und wir tauchen wieder ab in die Felsen. Alle Zweifel sind verflogen, volle Konzentration. Meterhohe Steilstufen, enge Spitzkehren und rutschige Schotterrinnen fordern uns alles ab, was wir in den letzten Jahrzehnten an Fahrradbeherrschung erlernt haben.

Wie ein Kletterer nach Tritten und Griffen tastet, erfahren wir durch unsere Reifen griffige Felsplatten und fahrbare Linien. Präzision statt Tempo, trotzdem immer im Flow. Neben uns klaffen Abgründe, deren Tiefe wir gar nicht näher ergründen wollen. Wir fahren - wenn es geht. Abzusteigen und eine Sektion zu tragen verdient genauso viel Respekt. Nein, wir sind nicht lebensmüde. Ganz im Gegenteil, viel lebendiger haben wir uns nie gefühlt!